Schwellenlaender: Kräftiger Rückenwind – mit Risiken am Horizont
Oktober 2020 - 4 min lesenTeile des Markts für Schwellenländeranleihen lieferten in diesem Jahr Lichtblicke für Rentenanlagen. Werden Schwellenländer die Industrieländer in den kommenden Monaten übertreffen – oder sind die Risiken zu groß?
Die Dynamik, die Anleihen aus Schwellenländern (EM) im zweiten Quartal verzeichneten, setzte sich im dritten Quartal weitgehend fort – auch wenn die Marktentwicklung zum Ende des Quartals etwas an Schwung verlor, da die Besorgnis über eine zweite Coronawelle und deren Auswirkungen auf die Weltwirtschaft wuchs. Unternehmensanleihen, Staatsanleihen und Zinsen schlossen das Quartal positiv ab, doch Devisen hinkten weiter hinterher. Eine Analyse der marktweiten Entwicklung zeigt, dass EM-Unternehmensanleihen an der Spitze standen: Sie lieferten eine Rendite von 2,75 %, gefolgt von Staatsanleihen mit 2,32 % und Lokalwährungsanleihen mit 0,61 %.1
WERTENTWICKLUNG VON SCHWELLENLÄNDERANLEIHEN IM BISHERIGEN JAHRESVERLAUF

Quelle: J.P. Morgan. Stand: 30. September 2020.
Unternehmensanleihen: Stark vom Tempo der Nachfrageerholung abhängig
EM-Unternehmensanleihen profitierten seit März von zahlreichen Unterstützungsmaßnahmen von Regierungen und Banken, darunter Moratorien und Stundungen, die bis ins dritte Quartal andauerten. Diese Unterstützungsmaßnahmen trugen dazu bei, die Anlageklasse gegen einige der negativen Auswirkungen der Pandemie abzuschirmen – Hinweise darauf sind die solide Ertragssaison von Unternehmen in Schwellenländern im zweiten Quartal sowie eine Ausfallquote bei Unternehmensanleihen, die mit 2,9 % deutlich unter den ursprünglichen Prognosen von 4,5 % liegt.2 Während eines Großteils des Quartals setzten auch Rohstoffpreise ihre Erholung fort und unterstützten damit zyklische Sektoren wie Öl und Gas, Metalle und Bergbau sowie Industrieunternehmen.
Gegen Ende des Quartals wurden jedoch erneut Bedenken über eine mögliche zweite Coronawelle und die potenziellen Auswirkungen auf die Nachfrage laut. Gleichzeitig kamen Fragen auf, ob die Stundungs- und Konjunkturmaßnahmen, die den Markt bis zu diesem Zeitpunkt gestützt hatten, in den kommenden Monaten abflauen könnten. Aus unserer Sicht ist das eines der größten Risiken für Schwellenländeranleihen – dass die Nachfrage (einschließlich der Rohstoffnachfrage aus China) vor dem Hintergrund einer weiteren Coronawelle ins Stocken gerät und Unternehmen nicht genügend Einnahmen und EBITDA erwirtschaften können, um ihre Schulden mangels zusätzlicher Unterstützungsprogramme zu bedienen.
Auch wenn sich nach wie vor ausgesuchte Chancen abzeichnen, ist es in dieser Hinsicht von enormer Bedeutung, die Unternehmen zu identifizieren, deren Geschäftsmodelle widerstandsfähig genug sind, um einem Nachfragerückgang standzuhalten. Unternehmen in defensiven Sektoren wie beispielsweise im Konsumgüterbereich, in der Versorgungswirtschaft und in der TMT-Branche (Telekommunikation, Medien und Technologie) scheinen recht gut aufgestellt zu sein und tatsächlich setzte gegen Ende des Quartals eine Erholung ein. Darüber hinaus dürften sich einige lateinamerikanische Metall- und Bergbauunternehmen mit Produktionskosten im ersten Quartil der globalen Kostenkurve auf dem schwierigen Markt behaupten können. Dagegen könnte die verzögerte Identifizierung von notleidenden Krediten im Finanzsektor aufgrund der derzeitigen Stundungsmaßnahmen in den kommenden Jahren zu einigen Herausforderungen für den Sektor führen.
Aus breiter Perspektive sind wir weiterhin der Ansicht, dass das High-Yield-Segment des Markts attraktiv aussieht. Zu Beginn des Jahres weitete sich die Spreaddifferenz zwischen dem Hochzins- und dem Investment-Grade-Segment erheblich aus und erreichte über 700 Basispunkte. Zwar hat sich dieses Niveau in den letzten Monaten etwas verringert und liegt nun bei etwa 400 Basispunkten3, dennoch ist es gemessen an der Differenz vor der Krise noch immer beträchtlich. Das deutet darauf hin, dass es in einigen Bereichen des High-Yield-Markts nach wie vor Spielraum für eine Verengung der Spreads gibt. Im Bereich der Hochzinsanleihen sehen wir auch weiterhin Wertchancen bei kurzlaufenden Anleihen, die die Möglichkeit bieten können, bei geringerer Volatilität einen Renditeaufschlag und Diversifizierung zu erzielen.
SPREADS VON EM-STAATS- UND -UNTERNEHMENSANLEIHEN (INVESTMENT GRADE VS. HIGH YIELD)

Quelle: J.P. Morgan. Stand: 30. September 2020.
Staatsanleihen: Können (und werden) die Länder zahlen?
Bei Staatsanleihen verlief die Entwicklung ähnlich: Der Markt setzte die Erholung während des dritten Quartals weitgehend fort. Doch zum Ende des Quartals setzten schließlich eine gewisse Volatilität und eine geringfügige Ausweitung der Spreads ein. Es ist darauf hinzuweisen, dass sich der Markt zwar seit dem Höhepunkt der Volatilität weitgehend von seiner Spreadausweitung erholt hat, aber weiterhin von der Realwirtschaft der Schwellenländer entkoppelt ist und es Jahre dauern könnte, bis er seine volle Kapazität wiedererlangt. Vor diesem Hintergrund besteht eine der zentralen Fragen darin, welche Länder in Zukunft ihre Schulden bedienen können und dies auch tun werden. Was die Zahlungsfähigkeit betrifft, scheinen einige Länder in recht guter Verfassung zu sein – Mexiko zum Beispiel ist aus finanzieller Sicht angesichts seiner robusten Devisenreserven offenbar recht stark. Auch Russland, Thailand und Peru scheinen zahlungsfähig zu sein, ebenso wie europäische Schwellenländer wie Ungarn, Tschechien und Polen.
Die Analyse, ob ein Land zur Zahlung seiner Schulden bereit ist, ist komplizierter – zum Teil aufgrund der Beteiligung internationaler Finanzinstitutionen wie der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds. In den letzten Monaten gab es Anzeichen dafür, dass diese Institutionen EM-Länder mit einer hohen Staatsschuldenquote dazu aufrufen könnten, ihre Schulden umzustrukturieren. Aus unserer Sicht kann die Analyse der Zahlungsfähigkeit eines Landes auf der Grundlage dieser Staatsschuldenquote irreführend sein – so können einige Länder Kredite zu sehr niedrigen Zinsen aufnehmen und somit eine viel höhere Staatsschuldenquote als andere Länder verkraften. Hinzu kommt, dass viele EM-Länder – besonders im High-Yield-Segment – in den nächsten Jahren weitere finanzielle Unterstützung von diesen Institutionen benötigen werden. Das könnte zur Folge haben, dass einige Länder als Voraussetzung für den Erhalt der Finanzmittel unter Umstrukturierungsdruck geraten.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist es nahezu unmöglich, breite, pauschale Aussagen über die Attraktivität von Staatsanleihen zu treffen. Unterm Strich sehen wir nach wie vor besondere Wertchancen in Ländern, die ein Investment-Grade-Rating haben, darunter Kolumbien, Rumänien, Russland und Brasilien – ein Land, das wir intern als Investment Grade einstufen. Was High Yield betrifft, sind wir anspruchsvoller, sehen aber potenzielle Chancen in Ländern wie der Ukraine, Aserbaidschan und in mittel- und osteuropäischen Volkswirtschaften wie Kroatien, Albanien und Mazedonien.
Die Länder- und Kreditauswahl ist in diesem Umfeld jedoch von entscheidender Bedeutung, denn das nächste Jahr wird aller Wahrscheinlichkeit nach Herausforderungen bringen. Wir achten darauf, Länder zu meiden, in denen sich die Finanzmaßnahmen verschlechtern und deren Kreditrating daher in Zukunft herabgestuft werden könnte.
Zentrale Erkenntnis
Vom Coronavirus über Handelsspannungen bis hin zu den Wahlen in den USA: Bei Staats- und Unternehmensanleihen aus Schwellenländern sind und werden auch weiterhin zahlreiche Risiken zu beachten sein – ob aus wirtschaftlicher, politischer oder Marktperspektive. Aber es bieten sich auch Chancen. Und diese können in schwierigen Zeiten besonders attraktiv sein. Der Schlüssel wird in Zukunft in der Auswahl der richtigen Kredite und Wertpapiere liegen – insbesondere wenn es darum geht, die „schwarzen Schafe“ zu vermeiden und widerstandsfähige Länder und Unternehmen zu identifizieren, die den aktuellen Herausforderungen am Markt standhalten können.
1. J.P. Morgan. Stand: 30. September 2020.
2. J.P. Morgan. Stand: 30. September 2020.
3. J.P. Morgan. Stand: 30. September 2020.
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